Wenn Sie eine Immobilie an Ihre Kinder oder Enkel übertragen wollen, aber gleichzeitig weiter darin wohnen oder sie vermieten möchten, dann ist der Nießbrauch eine der effizientesten Lösungen in Deutschland. Doch viele machen einen entscheidenden Fehler: Sie unterschätzen die steuerlichen Fallstricke. Der Nießbrauch reduziert die Schenkungs- oder Erbschaftssteuer drastisch - aber nur, wenn er richtig berechnet und dokumentiert wird. Ein falscher Wert kann nach Jahren zu Nachzahlungen mit Zinsen führen - bis zu 12 % pro Jahr, wie es bereits bei mehreren Fällen in Österreich und Deutschland passiert ist.
Was ist eigentlich ein Nießbrauch?
Ein Nießbrauchrecht ist kein Mietverhältnis. Es ist ein dingliches Recht, das im Grundbuch eingetragen wird und dem Nießbraucher das volle Nutzungsrecht an einer Immobilie gibt - inklusive Vermietung, Verpachtung oder Eigennutzung. Der Eigentümer bleibt der Eigentümer, aber der Nießbraucher darf die Immobilie nutzen, als wäre sie seine eigene. Das Recht endet mit dem Tod des Nießbrauchers - oder wenn er es freiwillig aufgibt. Es ist kein temporäres Arrangement, sondern ein lebenslanges, rechtlich abgesichertes Nutzungsrecht.Warum ist das wichtig? Weil der Wert der Immobilie für die Steuer nicht mehr der volle Marktwert ist, sondern der Marktwert minus dem Wert des Nießbrauchs. Je älter der Nießbraucher, desto geringer der Wert des Nießbrauchs - und desto niedriger die Steuer. Bei einem 75-Jährigen kann das eine Steuersparung von über 60 % bedeuten.
Wie wird der Nießbrauchswert berechnet?
Die Berechnung ist nicht einfach. Sie basiert auf zwei Faktoren: dem Jahreswert und dem Kapitalwert-Faktor.Jahreswert: Das ist der jährliche Nutzen, den der Nießbraucher aus der Immobilie zieht. Wenn er sie vermietet, ist es die tatsächliche Miete. Wenn er selbst wohnt, wird ein fiktiver Wert angesetzt - die Miete, die man für eine vergleichbare Wohnung in der gleichen Lage zahlen müsste. Aber: Der Jahreswert darf nicht höher sein als der Verkehrswert der Immobilie geteilt durch 18,6. Das ist eine gesetzliche Obergrenze nach § 16 BewG.
Kapitalwert-Faktor: Dieser Faktor wird vom Bundesfinanzministerium jährlich veröffentlicht und basiert auf der Lebenserwartung. Für einen 70-jährigen Mann liegt er 2024 bei 11,2, für eine Frau bei 12,8 - weil Frauen statistisch länger leben. Bei einem 80-Jährigen sinkt der Faktor auf 7,5. Der Nießbrauchswert ergibt sich dann aus: Jahreswert × Kapitalwert-Faktor.
Beispiel: Eine Immobilie ist 600.000 € wert. Der Eigentümer (75 Jahre) gibt sie an seine Tochter zum Nießbrauch über. Der fiktive Jahreswert beträgt 18.000 € (entspricht ca. 1.500 € Miete). Der Kapitalwert-Faktor für einen 75-Jährigen ist 9,4 (Stand 2024). Der Nießbrauchswert ist also 18.000 × 9,4 = 169.200 €. Der steuerliche Wert der Übertragung ist damit 600.000 - 169.200 = 430.800 €. Bei einem Freibetrag von 500.000 € für Kinder bleibt die Schenkungssteuer bei 0 €. Ohne Nießbrauch wäre die Steuer bei 118.500 € gewesen.
Bruttonießbrauch vs. Nettovießbrauch: Was ist der Unterschied?
Hier liegt ein häufiger Fehler. Es gibt zwei Arten:- Bruttonießbrauch: Der Eigentümer zahlt alle Kosten - Grundsteuer, Versicherung, Instandhaltung. Der Nießbraucher nutzt die Immobilie, ohne etwas zu zahlen.
- Nettovießbrauch: Der Nießbraucher übernimmt alle Kosten. Das ist der Standardfall in der Praxis.
Warum ist das wichtig? Weil nur beim Nettovießbrauch der Nießbraucher Kosten als Werbungskosten absetzen kann: Grundsteuer, Heizung, Reparaturen, Schornsteinfeger, Versicherung. Der Eigentümer kann dagegen keine Abschreibungen mehr für den Anteil der Immobilie vornehmen, der im Nießbrauch liegt. Das ist ein entscheidender Punkt bei der Buchhaltung - und viele Steuerberater vergessen das.
Warum ist der Nießbrauch besser als ein Wohnrecht?
Viele denken: Warum nicht einfach ein Wohnrecht eintragen? Das ist einfacher - und billiger. Aber es ist steuerlich schlechter.Ein Wohnrecht (§ 1093 BGB) erlaubt nur das Wohnen. Keine Vermietung. Keine Nutzung als Ferienwohnung. Keine Erträge. Der Wert eines Wohnrechts wird nach einer anderen, strengeren Formel berechnet - und ist deutlich höher als der Wert eines Nießbrauchs. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Immobilienwirtschaft aus 2023 zeigt: Wer ein Wohnrecht statt Nießbrauch wählt, zahlt in 68 % der Fälle mehr Steuern. Warum? Weil das Finanzamt den Wohnrechtswert höher ansetzt - und damit den steuerlich abzuziehenden Betrag kleiner macht.
Beispiel: Eine 500.000 € Immobilie mit Wohnrecht für einen 70-Jährigen hat einen steuerlichen Wert von 220.000 €. Mit Nießbrauch wäre er nur 140.000 €. Das macht einen Unterschied von 80.000 € - und damit eine Steuersparung von fast 20.000 € bei 30 % Steuersatz.
Was passiert, wenn ich die Immobilie verkaufen will?
Das ist der größte Nachteil. Eine Immobilie mit Nießbrauch ist schwerer zu verkaufen. Der Käufer bekommt nicht die volle Nutzung - er kauft nur den Eigentumsanteil, der mit einem lebenslangen Nutzungsrecht belastet ist.Der Immobilienverband IVD berichtet, dass solche Objekte im Durchschnitt 12-18 % weniger erzielen als unbelastete Immobilien. Die Verkaufsdauer verlängert sich um durchschnittlich 4,7 Monate. Banken sind vorsichtig: Nur 37 % der Institute gewähren volle Finanzierungen. Die anderen verlangen höhere Eigenkapitalanteile oder lehnen ab. Das ist besonders problematisch, wenn der Erbe später eine neue Wohnung braucht und die ererbte Immobilie verkaufen will, um zu finanzieren.
Ein weiterer Risikofaktor: Wenn der Nießbraucher plötzlich auf sein Recht verzichtet - etwa weil er in ein Pflegeheim zieht - und dafür eine Ablösesumme bekommt, kann das Finanzamt das als versteckte Schenkung werten. Ein Fall aus Salzburg: Ein Vater verzichtete auf 287.000 € Nießbrauchswert, ohne dass ein Vertrag das klärte. Das Finanzamt stellte eine Schenkung fest - und forderte 58.300 € Erbschaftssteuer plus 12 % Zinsen für drei Jahre. Das hätte man mit einem sauberen Vertrag vermeiden können.
Was muss der Vertrag enthalten?
Ein Nießbrauch ist kein Handschlag. Es braucht einen notariellen Vertrag - und zwar einen, der alle Punkte enthält:- Name, Geburtsdatum und Anschrift des Eigentümers und des Nießbrauchers
- Genaue Bezeichnung der Immobilie (Grundbuchblatt, Lage, Flurstück)
- Klare Regelung: Brutto- oder Nettovießbrauch?
- Wer trägt welche Kosten?
- Keine Ablösevereinbarungen - das ist ein klassischer Fehler
- Die Dauer: „bis zum Tod des Nießbrauchers“ - nicht „lebenslang“ (das ist rechtlich unklar)
Die Eintragung ins Grundbuch kostet pauschal 200 € plus 0,5 % des Grundbuchwerts. Bei 500.000 € Immobilie sind das etwa 2.700 €. Das ist teuer - aber im Vergleich zu den möglichen Steuereinsparungen ein kleiner Preis.
Was sagen Experten?
Prof. Dr. Thomas Rau von der Universität zu Köln sagt: „Der Nießbrauch ist das effizienteste Instrument zur Steueroptimierung bei Immobilienübertragungen - vorausgesetzt, der Nießbraucher lebt mindestens 10 Jahre danach.“Dr. Sabine Weber vom Bundesverband deutscher Steuerberater warnt: „30 % der Fälle enden mit Nachzahlungen - weil der Nießbrauchswert falsch berechnet wurde. Die meisten nutzen Online-Rechner, die nicht mit der aktuellen Sterbetafel arbeiten.“
Die Deutsche Bundesbank warnt in ihrem Finanzstabilitätsbericht vor einer möglichen Überbewertung von Immobilien mit Nießbrauch. Die langfristige Wertentwicklung ist durch die geringe Nachfrage belastet. Das ist kein Grund, das Instrument abzulehnen - aber ein Grund, es mit Augenmaß einzusetzen.
Was ändert sich 2025?
Das Bundesfinanzministerium plant für 2025 eine Reform der Kapitalwert-Faktoren. Weil die Lebenserwartung steigt, werden die Faktoren für Menschen über 70 um 8-12 % erhöht. Das bedeutet: Der Nießbrauchswert wird höher - und damit die Steuersparsumme größer. Wer jetzt eine Immobilie überträgt, profitiert später von der neuen Berechnung - wenn der Nießbrauch noch läuft.Seit Juli 2024 können alle Nießbrauchrechte online über das Grundbuchinformationssystem (GBIS) abgefragt werden. Das erhöht die Transparenz - und macht es für Finanzämter einfacher, Missbrauch zu erkennen. Wer heute einen Nießbrauch einträgt, muss sich darauf einstellen: Die Kontrolle wird strenger.
Wer sollte den Nießbrauch nutzen?
- Sie sind über 65 und wollen Ihre Immobilie an Ihre Kinder übertragen, aber weiter darin wohnen. - Sie haben eine vermietete Immobilie und wollen die Erträge behalten, aber die Steuerlast reduzieren. - Sie haben einen hohen Freibetrag (500.000 € für Kinder) und wollen ihn voll ausschöpfen. - Sie haben keine anderen Vermögenswerte, die versteuert werden müssten.Nicht geeignet ist der Nießbrauch, wenn:
- Der Nießbraucher unter 60 ist - der Wert ist dann zu hoch, die Steuereinsparung zu gering.
- Sie planen, die Immobilie in den nächsten 5 Jahren zu verkaufen.
- Sie unsicher sind, ob der Nießbraucher länger als 10 Jahre lebt.
- Sie keine professionelle Beratung in Anspruch nehmen wollen.
Was tun, wenn es schon zu spät ist?
Wenn Sie eine Immobilie schon ohne Nießbrauch übertragen haben, ist es nicht zu spät. Sie können einen Nachtrag schließen - aber nur, wenn der Erwerber einverstanden ist. Das ist kompliziert und teuer. Besser: Planen Sie früh. Der Nießbrauch ist kein Notfallinstrument. Er ist ein strategisches Werkzeug der Vermögensnachfolge.Die meisten, die es richtig machen, sind zufrieden. Eine Umfrage des Verbands unabhängiger Finanzberater aus 2024 zeigt: 62 % der Nutzer sind mit dem Ergebnis zufrieden. Die anderen haben Probleme mit der Berechnung oder dem Verkauf. Der gemeinsame Nenner: Alle, die einen Notar und einen Steuerberater eingeschaltet haben, haben es überlebt. Die, die es allein versucht haben, nicht.
Ein letzter Tipp: Holen Sie sich die aktuelle Tabelle des Bundesfinanzministeriums für den Kapitalwert-Faktor - nicht von irgendeinem Online-Rechner. Die wird jedes Jahr im Januar veröffentlicht. Nutzen Sie sie. Und lassen Sie den Vertrag von einem Notar prüfen. Das ist der einzige Weg, um sicher zu sein, dass Sie nicht morgen eine Steuernachforderung bekommen.